Ein Konzert der anderen Art
Die Wandergruppe machte zuerst Halt beim Bauerngarten, welcher durch eine grosse Arten- und vor allem Sortenvielfalt an Nutzpflanzen besticht. Die Umgebung des Bauerngartens wird durch grosse, alte Bäume, Wildblumenwiesen, stehendes und liegendes Totholz und weitere Strukturelemente geprägt. Ein wahres Paradies für heimische Tiere und Pflanzen. Im Gegensatz dazu wird ein Grossteil des Schweizer Siedlungsgebiets, welches mittlerweile stolze 10% der Landesfläche einnimmt, durch Rasenflächen, Kirschlorbeerhecken und SBB-Schottergärten dominiert. Das Potential für Ersatzlebensräume für einheimische Arten in den ca. 1 Million Einfamilienhausgärten und unzähligen Gewerbearealen ist enorm. Allerdings findet tragischerweise im Vergleich zum Kulturland, in das sich das Siedlungsgebiet stetig frisst, häufig eine In- statt eine Extensivierung der Bewirtschaftung statt. Der stark verwässerte indirekte Gegenvorschlag zur Biodiversitätsinitiative, welcher vor allem im Siedlungsgebiet ansetzen wollte und von Bundesrat und Nationalrat unterstützt wurde, hätte alle Einwohnerinnen und Einwohner dieses Landes in die Pflicht genommen, fand im Ständerat jedoch kein Musikgehör.
Mehr Musikgehör hatte die Wandergruppe. Flavian Graber, Singer-Songwriter, Frontmann der Band «We Invented Paris», seit kurzem Baselbieter Kulturpreisträger 2024 und selbst Mitglied des Unterstützungskomitees für die Biodiversitätsinitiative, spielte im Bauerngarten den passenden Song «Erdbeeri». Er handelt von der Anspruchshaltung, zu jeder Jahreszeit die ganze Palette an Früchten und Gemüsen kaufen zu können, und welche Folgen dies für die Umwelt hat. An den weiteren Stationen gab Graber «dr Bach», «chli Pirat», «Hammer» und «Grad jetzt» zum Besten und zog damit die Wandergruppe in seinen Bann.
Der von der Ermitage herkommende Dorfbach, der kurz vor den ersten Häusern unter der Erde verschwindet, illustriert, wie wir mit unseren Fliessgewässern in der Vergangenheit umgingen: sie wurden begradigt und eingedolt. Zwar findet ein Umdenken statt. Bäche werden ausgedolt und Flüssen wird wieder mehr Raum zugestanden – nicht zuletzt auch deshalb, weil so die Auswirkungen von Hochwasserereignissen gemildert werden können. Aber das Generationenprojekt der Revitalisierung unserer Flüsse, Bäche und Seen verläuft zu schleppend. Bei der Ausscheidung der sogenannten Gewässerräume, welche die Kantone bis 2018 hätten vollziehen müssen, beschränkt man sich auf das absolute Minimum und sind Ausnahmen die Regel. Gewässer und die sie umgebenden Lebensräume sind wichtige Vernetzungskorridore und beherbergen erstaunliche 80% der in der Schweiz vorkommenden Tier- und Pflanzenarten. Zugleich gehören sie zu den am stärksten gefährdeten Lebensräumen, was den dringenden Handlungsbedarf unterstreicht.
Verglichen mit den meisten anderen Lebensräumen sind die Wälder in der Schweiz in einem recht naturnahen Zustand, auch der Wald im Bereich der Ermitage. Zu verdanken haben wir dies unseren Vorfahren, die den Wald per Forst- bzw. Waldgesetz unter Schutz gestellt haben, nachdem die unkontrollierte Abholzung der Wälder im 19. Jahrhundert zu katastrophalen Erdrutschen und Überschwemmungen geführt hatte. Das Baselbiet ist zu 41% von Wald bedeckt und beherbergt die Hälfte der heimischen Arten. Der Kanton nimmt mit bereits fast 20% geschützter Waldfläche, davon knapp 5% Totalwaldreservaten und Altholzinseln, eine Vorreiterrolle ein und demonstriert eindrücklich, dass sich die Waldfunktionen Holzproduktion, Schutz vor Naturgefahren und Biodiversität gegenseitig nicht ausschliessen. Folgerichtig hat der regionale Verband der Waldeigentümerinnen und Waldeigentümer WaldBeiderBasel – im Gegensatz zum Dachverband WaldSchweiz – die Ja-Parole zur Biodiversitätsinitiative gefasst.
Das sehr erfolgreiche Programm «Naturschutz im Wald» ist jedoch in Gefahr. Wie sich aus der Fragenstunde des Landrats vom 13. Juni entnehmen lässt, stehen offenbar Sparbemühungen im Raum. Die 2.75 Millionen Franken, die pro Jahr in die Pflege von ca. 180 ha Waldreservaten und 70 km Waldränder investiert werden, könnten zusammengestrichen werden, weil der Kanton rote Zahlen geschrieben hat. Ganz nach dem sogenannten Matthäus-Effekt: «Denn wer da hat, dem wird gegeben, dass er die Fülle habe; wer aber nicht hat, dem wird auch das genommen, was er hat.» Wohlverstanden: Es geht hier umgerechnet um knapp CHF 130.- pro Hektare Baselbieter Wald und Jahr. Effektiveren Naturschutz für so wenig Geld auf einer so grossen Fläche lässt sich vermutlich nirgends sonst realisieren. Im Vergleich zu den jährlichen Investitionen der öffentlichen Hand in «graue Infrastruktur» wie Strassen, Hochwasserverbauungen, Gebäude usw. sprechen wir hier von Kleinstbeträgen.
Bevor sich die Wandergruppe vor einem herannahenden Unwetter in Sicherheit begeben musste, machte sie Station auf den landwirtschaftlichen Nutzflächen rings um die Ruine Dorneck. Die Schweiz ist ein Grassland, und eine Nutzung dieser Flächen für die Milch- und Fleischproduktion ist grundsätzlich sinnvoll. Allerdings gingen in den vergangenen gut hundert Jahren 95% der besonders wertvollen, artenreichen Trockenwiesen und -weiden (TWW) durch veränderte Nutzung und zu hohe Nährstoffeinträge verloren. Der Nährstoffüberschuss ist auf den Einsatz von Kunstdüngern und die hohen Importe von Futtermitteln aus dem Ausland zurückzuführen: über die Hälfte des für die Schweine- und Hühnermast benötigte Kraftfutters stammt aus Importen. Auf rund 60% des Ackerlands werden nicht Lebensmittel für Menschen, sondern Futtermittel für Nutztiere produziert. Das Vorhaben, 3.5% des Ackerlands für die Biodiversitätsförderung einzusetzen und damit indirekt den Verbrauch von synthetischen Pestiziden zu senken, wurde vom Bundesparlament wieder begraben. Ins Feld geführt wurde wiederholt, dass es erstens schon genügend Biodiversitätsflächen (BFF) gäbe und dass man zweitens auf den 3.5% Ackerflächen besser Brotweizen anpflanzen solle. In Tat und Wahrheit standen nie zusätzliche Flächen zur Debatte, sondern eine Verschiebung von mind. 3.5% der BFF ins Ackerland, weil es dort die grössten Biodiversitäts-Defizite gibt. Und zur der Hinweis auf die Versorgungssicherheit wirkt wie ein Hohn, wenn man sich vor Augen führt, dass Ackerland primär für den Futtermittelbau verwendet wird.
Die Gegenkampagne behauptet, die Initianten wollten 30% der Fläche der Schweiz in ein Naturschutzgebiet umwandeln. Die Absicht, bis ins Jahr 2030 insgesamt 30% der Flächen für die Biodiversität zu sichern («30 by 30») stammt aus einem internationalen Übereinkommen, für das sich auch der Bund einsetzt. Hingegen wird diese Zahl im offen formulierten Initiativtext nicht genannt. Nutzen und Schützen gehen Hand in Hand – oft ist eine Nutzung gar unumgänglich, um Naturwerte erhalten zu können.
- Thomas Fabbro